In meiner Arbeit spielt das generationsübergreifende Trauma eine wichtige Rolle, da viele meiner Klienten schon seit Jahren darunter leiden und nicht wissen, was mit ihnen los ist.
Nicht selten haben sie etliche Therapien hinter sich, fühlen sich auch stabiler, doch es geht ihnen nicht wirklich besser.
Momentan lautet der offizielle Forschungsstand zum TGT (sehr vereinfacht): es sind die Traumafolgestörungen, welche die nachfolgenden Generationen belasten
Das sehe ich auch so, doch da gibt es noch eine andere wesentliche Belastung, die in der Forschung leider kaum Beachtung findet:
Viele Menschen, mit deren innerer Belastung ich gearbeitet habe, haben ein fremdes Trauma in sich aufgenommen. Sie fühlen in sich heftige bedrohliche Gefühle aufsteigen, die sie kontrollieren und wegdrücken müssen. Oder sie fühlen diese Energie nicht aufsteigen, sondern als innere Schwere oder abgründige Leere. Anstatt nur die eigenen Gefühle in sich zu haben, haben diese Menschen unverarbeitete Gefühle aus der Eltern, Groß- oder Uhrgroßelterngeneration in sich drin. Manche Klienten sehen sogar die dazu gehörigen Ereignisse oder spüren die damit verbundenen Ängste.
Diese innere Verfassung kann man sich folgendermaßen vorstellen: In unserem Inneren sind normalerweise nur unsere eigenen Gedanken, Gefühle und Empfindungen. Leiden Menschen an einem transgenerativen Trauma, dann haben sie den Schmerz, das Entsetzen, Angst und Panik einer anderen Person in sich drin. Über die seelische Verbundenheit zu den Eltern übertragen sich diese Emotionen, Energien und Informationen. Es ist keine Besessenheit oder Besetzung, kann sich aber so anfühlen. Wir sind bereits als kleine Kinder mit dem schweren Schicksal unserer Eltern verbunden, denn Verbundenheit gehört zu unserer seelischen Natur (siehe auch Artikel: Symbiose- belastet durch Verbundenheit). Später halten wir unbewusst an diesen Belastungen fest und denken, es sind unsere.
Dieses Phänomen ist sehr verbreitet. Die Betroffenen gehen davon aus, dass es ihre eigenen unangenehmen Gefühle sind, die da in ihnen aufsteigen, von denen sie als innere Last blockiert und beschwert werden oder von denen sie sich permanent innerlich fern halten müssen. Manche Menschen gehen auch davon aus, dass sie verrückt werden und nicht ganz normal sind. Wenn ich ihnen dann zeige, dass sie fremde Gefühle in sich aufgenommen haben und diese abgelöst werden können und müssen, dann gibt es sofort eine große Erleichterung.
Menschen, die ein fremdes Trauma in sich haben, entwickeln natürlich genauso Traumafolgestörungen, wie Menschen, die direkt traumatisiert worden sind. Sie müssen, wie bei einem persönlichen Trauma, Strategien entwickeln, die sie schützen und stabilisieren. Je nach Charakter und Stärke des Traumas, sind die Folgen unterschiedlich ausgeprägt:
-
Sie können Alpträume haben und Ereignisse sehen, mit denen sie persönlich nie etwas zu tun hatten
-
Sie können sich emotional dumpf fühlen und gegenüber ihrer Umwelt sehr teilnahmslos und gleichgültig sein, es werden instinktiv bestimmte Situationen, Nähe, Aktivitäten, Verantwortlichkeiten und Begegnungen vermieden, Sorgen um sich selbst, die Familie und die Zukunft nehmen zu, pessimistische Haltung, sind zu keiner großen Entscheidung und zu keinem großen Schritt fähig
-
Reizbarkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Wachsamkeit, Schreckhaftigkeit, Unruhe, in Bewegung bleiben wollen, immer etwas zu tun haben müssen, nicht mehr entspannen können, das Leben oder die Umgebung werden als konstante Bedrohung wahrnehmen, Ärger und Wut
-
Das Nervensystem ist in permanenter Alarmbereitschaft, daher ist der Betroffene oft auch zänkisch, beleidigt, übergriffig, verurteilend und abwehrend
-
Niedergeschlagenheit, tiefe Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit bis hin zur Lebensmüdigkeit, negatives Bild von sich selbst, Selbstvorwürfen, Schuld- und Schamgefühle, Ungeduld
-
Angst- und Panikzustände, Ausgebrannt sein, Erschöpfung
-
letztendlich auch chronisch körperliche Schmerzen, Entzündungen und ein schwaches Immunsystem, da es einen anhaltenden inneren Stress gibt
-
auch Suchtverhalten ist eine Folgestörung
Stand der offiziellen Forschung: Traumafolgestörungen belasten nachfolgende Generationen
In der aktuelle Literatur und Forschung ist man sich inzwischen einig, dass Traumatisierungen über Generationen hinweg weiter gegeben werden. Hier ist die Rede davon, dass bestimmte Verhaltensweisen (z.B. Verdrängung, Vermeidung), entsprechende Werte (Sicherheiten schaffen, Rollenverhalten) und verzerrte Vorstellungen (ohne Beziehung lebt es sich besser, ich muss kämpfen, um etwas zu erreichen) übertragen werden.
Die traumatisierte Elterngeneration gibt auch ihre Ängste und Abwehrmechanismen an die Kinder weiter, welche unbewusst als selbstverständliches normales Verhalten abgespeichert werden.
Die Beziehungen zwischen Eltern und Kinder sind durch die posttraumatischen Belastungen (Folgeerscheinungen nach dem traumatisierenden Ereignis) oft erheblich gestört.
Ein weiterer Aspekt der biologischen Traumaforschung besagt, dass das Traumaerleben genetisch weiter gegeben bzw. vererbt wird. Untersuchungen der Epigenetik zur Folge ist es so, dass das erlebte Trauma eine entscheidende Auswirkung auf die Gene hat. Hier wird auch das Umfeld und die frühen Prägungen mit einbezogen, denn diese Faktoren können das Erleben nach dem Trauma verstärken oder abschwächen.
Transgenerational trauma from Wikipedia, the free encyclopedia:
Kurz nachdem Beschreibungen des Konzentrationslagersyndroms auftauchten, beobachteten Kliniker 1966, dass eine große Anzahl von Kindern von Holocaust-Überlebenden in kanadischen Kliniken in Behandlung war. Die Enkelkinder von Holocaust-Überlebenden waren im Vergleich zu ihrer Vertretung in der Allgemeinbevölkerung um 300% unter den Überweisungen in eine Kinderpsychiatrieklinik überrepräsentiert.
Das Phänomen, dass Kinder traumatisierter Eltern direkt oder indirekt von den posttraumatischen Symptomen ihrer Eltern betroffen sind, wurde von einigen Autoren als sekundäre Traumatisierung beschrieben (in Bezug auf die zweite Generation). Um auch die dritte Generation einzubeziehen, wurde der Begriff der intergenerationellen Übertragung von Traumata eingeführt.
Das Trauma
Ein Trauma entsteht, wenn ein Mensch einer starken Bedrohung ausgesetzt wird, wenn das eigene Leben, das einer nahe stehenden Person oder der eigene physische Körper so sehr verstört, verletzt oder gepeinigt werden, dass der normale psychologische Schutz nicht mehr ausreicht, um das Erlebte gut abzuwehren und verarbeiten zu können. Der natürliche Schutz, der uns hilft, Ereignisse zu verarbeiten, wird im Gehirn durch den erhöhten Stress verhindert.
Als Folge dessen werden Schmerz, Schrecken und Erschütterung abgespalten, bewacht und kontrolliert, wobei unser Stresssystem in eine chronische Überforderung gerät und sich auf einem erhöhten Niveau einpegelt. Daher ist ein Trauma nicht nur eine seelische (Schmerz, Verletzung), sondern auch eine geistige (Kontrolle) und eine körperliche (Stress) Belastung.
Viele Traumata sind im Krieg durch zahlreiche erschütternde Erlebnisse entstanden: Bombenangriffe, körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch, plötzlicher Tod und Trennung wurden am häufigsten erlebt. Aber auch in Friedenszeiten werden die Menschen traumatisiert, wenn eine nahestehende Person plötzlich stirbt, ein Kind verloren wird, auch durch Gewalt, Missbrauch, Streitereien, Demütigungen, Unfälle oder permanente Überforderung.
Schlussfolgerung
Das transgenerative Trauma ist nicht nur eine übertragene Traumafolgestörung, sondern auch ein noch unerforschtes energetisches Phänomen. Wir Menschen sind nicht nur in der Lage, mitfühlend mit anderen Menschen zu sein, sondern können auch fremde Gefühle in uns aufnehmen. Die Unterscheidung zwischen den eigenen Gefühlen und denen einer anderen Person und die Ablösung der fremden Gefühle aus dem eigenen System bringt hier enorme Entlastung und schnelle Heilung.