Leiden – weg von sich selbst sein

DSCF7367Wahrscheinlich kennt jeder das Gefühl, zeitweise oder ständig irgendwie belastet zu sein. Und wahrscheinlich kennt auch jeder das Phänomen, dass man erst etwas dagegen unternimmt, wenn die Belastung so groß ist, dass man sie nicht mehr aushält.

Das Gefühl, belastet zu sein, wird auch als Leiden bezeichnet.

Leiden entsteht dadurch, dass wir uns von uns selbst entfernen.

Im Grunde ist es so, dass wir nicht unter unseren Gedanken, unter unseren Gefühlen, unter unseren Mustern, unter anderen Menschen oder unter unserer Lebenssituationen leiden, sondern immer nur darunter, dass wir uns durch all dies von uns selbst abbringen lassen und uns dann zunehmend von uns selbst entfernen.

Empfinden wir unser Leid als groß, dann ist wahrscheinlich auch die Entfernung erheblich, die wir zu uns selbst eingenommen haben. Wir entfernen uns natürlich nicht vorsätzlich von uns selbst. Es ist immer eine, meist unbewusste, Schutzmaßnahme. Es kann so eine Art Wegdämmern sein oder man beschäftigt sich unentwegt. Jeder Mensch entfernt sich auf seine ganz persönliche Weise von sich selbst. Doch am Ende leiden wir alle gleich. Der eine hält mehr Leid aus, als der andere, manche können über lange Zeit leiden und andere halten es nicht so lange aus.

Leiden ist immer ein selbst erzeugter Zustand. In ihm machen wir eine Bewegung weg von uns. Kommen wir uns wieder näher, dann wird es leichter. Entfernen wir uns, dann kommt das Leid zurück. Entfernen wir uns sehr weit, dann wird die Last immer schwerer und erdrückender und zwingt uns oft regelrecht dazu, wieder zu uns zu kommen.

Wenn wir dann eine Bewegung hin, zu uns selbst machen, dann sind da vielleicht Wut, Schmerz, Traurigkeit, Ohnmacht oder Leere. Vielleicht sind da Abwehrstrategien und lauter bekannte Verhaltensmuster. Vielleicht rast der Kopf auf Hochtouren. Vielleicht sind da Sorgen und Ängste. Durch das Zuwenden zu uns selbst geschieht etwas, das uns entlastet. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf uns selbst lenken, heraus aus der äußeren Welt, weg von unseren Mitmenschen, heraus aus dem Gedankenkarussell, hin zu dem, was gerade ist, dann sind wir bei uns. Je häufiger und intensiver wir genau dies tun, desto mehr und tiefer kommen wir bei uns an.

Die Wandlung, die durch das Zuwenden zu sich selbst geschieht, ist für mich am beeindruckendsten und wirkt meiner Erfahrung nach am nachhaltigsten.

Natürlich können wir versuchen zu verstehen, ablösen oder hinzufügen, ein Verhalten durch ein anderes ersetzen und vieles mehr, doch das bewirkt oft keine bleibende Änderung. Während wir uns selbst annähern, geschieht noch etwas anderes, etwas, das nicht durch unsere Persönlichkeit oder durch einen Therapeuten bewirkt werden kann. Es ist diese Wandlung, die in dem Moment, wo wir ganz bei uns sind, einfach von sich aus geschieht. Es fühlt sich so an, als würde unsere Seele sich in uns breit machen. Dann bin ich nicht mehr dies, das, jenes, sondern eins in mir.

Manchmal reagieren wir auf diese Wandlung etwas panisch und greifen nach etwas Vertrautem, an dem wir uns festhalten können. Das ist ok und nur allzu natürlich, und doch, es wird nichts mehr so sein wie vorher.

Wenn wir bei uns angekommen sind, dann fühlen wir deutlich unsere ständig wechselnden inneren Verfassungen und auch alles um uns herum, doch wir spüren auch, dass dies eine früh angelegte Schutzmaßnahme ist. Auf diese reagieren wir nun mit Verbundenheit, Nähe, Liebe, Klarheit und der Frieden. Wir sind weniger verstrickt oder im Konflikt, sondern eher anwesend und präsent. Wir schauen mit mehr Liebe, Klarheit, Offenheit und friedlicher Gelassenheit auf alles in unserem Leben. Vielleicht hat sich ja an unserem Leben nicht viel geändert, an dem Auf und Ab da draußen und in uns da drinnen. Wir sind uns selbst nur ganz nah und deshalb ist es nicht mehr so schwer, beängstigend und belastend. Es sind einfach die natürlichen Bewegungen des Lebens.

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